Fremde Standpunkte einnehmen, miteinander diskutieren, gemeinsam eine Lösung erarbeiten: das sind Voraussetzungen für ein Zusammenleben in Vielfalt. Doch wie gelingt das? Die Teilnehmer des „Toledo to do“ Planspiels, bei dem die Rolle und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft im Toledo des Mittelalters nachgespielt wird, haben es ausprobiert.
Gebastelt aus Klopapierrollen, Klebeband und Strohhalmen steht sie da und brilliert vermutlich eher durch ihre symbolische als tatsächliche Tragkraft; die, von ihren Erbauern liebevoll getaufte Brücke des Zusammenlebens. Auf ihrem Pfeiler die Symbole der drei abrahamitischen Weltreligionen: Eine Menora für das Judentum, ein Halbmond für den Islam und ein Kreuz für das Christentum. In ihrer Mitte die Worte „Entrance to diversity“ (zu dt.: Eingang zur Vielfalt). Eine Botschaft, die für die einander.Aktionstage der Stadt Mannheim wohl treffender kaum sein könnte.
Stehen soll die behutsam zusammengeschusterte Brücke jedoch nicht in Mannheim, sondern im spanischen Toledo des 13. Jahrhunderts – dem fiktiven Schauplatz des Rollenspiels „Toledo to do“, welches am vergangenen Mittwoch im Rahmen der e.AT 2019 im Stadthaus Mannheim stattfand. Absicht des Planspiels: Mit dem Schlüpfen in fremde Rollen das Verständnis für andere Religionen und Kulturen fördern. „Wir wollten etwas bauen, das zeigt, dass wir alle verschieden, aber trotzdem eine Gemeinschaft sind“ erklären auch die Brückenarchitekten und Teilnehmer, die an diesem sonnigen Nachmittag Ihre Identität gegen die eines Bürgers des mittelalterlichen Toledos tauschen durften.
Toledo, südwestlich von Madrid über dem Flachland von Castilla-La Mancha gelegen, ist eine der ältesten Städte Spaniens. Bekannt vor allem durch beeindruckende muslimische, jüdische und christliche Bauwerke, gilt die spanische Stadt schon seit Jahrhunderten als ein Ort der kulturellen und religiösen Vielfalt.
Heute, im Jahr 2019, dient sie als Inspiration für ein interaktives Diversity Planspiel, das nicht nur Spaß macht, sondern vor allem zum Nachdenken anregen soll.
„Jeder zieht jetzt seine neue Rolle„, heißt es als ein Sack mit Namensschildern im Sitzkreis des liebevoll eingerichteten Veranstaltungsraums des Mannheimer Stadthauses umhergeht. Vorgestellt wurde kurz zuvor die eigene reale Person und das ein oder andere Kichern ist bei dem zaghaften Versuch, den Namen der neuen Identität auszusprechen, kaum zu überhören. Jemand anderes sein? Mit neuen Eigenschaften und Interessen? Aus einer vergangenen Zeit? Gar nicht so einfach, oder? Aber genau darum soll es an diesem Tag gehen.
Veranstaltet vom Deutsch-Türkischen Institut für Arbeit und Bildung e.V , dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg und der Organisation Junge Muslime engagiert für Demokratie (JUMED), ist das „Toledo to do“-Planspiel, auch an diesem Mittwoch, wieder Möglichkeit und Chance für Reflexion; Reflexion darüber, was es eigentlich bedeutet Christ, Moslem oder Jude zu sein und vor allem, wie man all diese Religionen friedlich unter einem Dach vereint. Mit „Toledo to do“ schlüpfen die Teilnehmer schließlich nicht nur in die Rolle des Anderen, sondern müssen aus jener fremden Perspektive auch versuchen mit Anderen gemeinschaftlich und respektvoll umzugehen. Was am Mittwochnachmittag zunächst etwas zögerlich anläuft und viel Rückversicherung auf die vom Planspiel vorgegebenen Informationen zu den jeweiligen Religionsgemeinschaften und Personensteckbriefen fordert, wird im Laufe der Zeit eine immer unabhängigere Diskussions- und besonders auch Interaktionsrunde.
Grundlegende Fragen wie „Wofür steht dieser Kronleuchter bei den Juden eigentlich?„, aber auch tiefergehende Anmerkungen wie „Was bedeutet es eigentlich radikal zu sein?“ zeigen, wie das Konzept die Beteiligten nicht nur schauspielerisch, sondern auch in ihrer Denkweise herausfordert.
Auch die Aufgabe, innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft Lösungen und Reaktionen zu formulieren, nachdem eine Moschee – natürlich nur fiktiv – von einem unbekannten Täter angezündet wird, entfacht große Grundsatzdiskussionen über Zugehörigkeit, Vertrauen und zeigt, dass auch heute immernoch große Vorurteile herrschen.
„Ich hätte nicht so früh urteilen sollen“ reflektiert beispielsweise einer der Teilnehmer in der anschließenden Feedbackrunde, bei der die fiktive Rolle wieder abgelegt wird. „Man fühlt sich, wenn man dann zu dieser Gruppe gehört, verraten“ fasst eine andere Teilnehmerin ihre Gefühle in Hinblick auf den Anschlag zusammen. Auch über das erst kürzlich real stattgefundene Attentat vor einer Synagoge in Halle wird in diesem Zusammenhang lange diskutiert und reflektiert. Was passiert mit den Opfern einer solchen Tat? Wie kann man ihnen helfen? Das sind einige der Hauptfragen, die von den Teilnehmern während des sehr intim wirkenden Abschlussgesprächs in den Raum geworfen werden.
Es sei wichtig Mitgefühl zu zeigen, zu signalisieren „man ist füreinander da, egal welche Religion oder Herkunft“ heißt es dann als abschließender Kanon. Schließlich, so sagt eine Mitspielerin sehr passend, „sind wir doch alle Menschen„, und wir müssen einander respektieren, egal woher wir kommen und an was wir auch glauben.
Ein Standpunkt, der zwar auch heutzutage immer noch nicht überall angekommen ist, den es aber gerade mit Veranstaltungen wie dem Diversity-Planspiel „Toledo to do“ definitiv weiter zu verbreiten gilt!